
SAY WHAT! Mit Sven Winterstein vom Druck-Atelier Letterjazz in Essen
Die modernste Maschine ist über 40 Jahre alt, die Schneidemaschine hat sogar mehr als 130 Jahre auf dem Buckel. Und das Druckverfahren? Achje! Das ist noch älter! Und genau das ist das Besondere!
Legt eure iPads, iPods, iPhones, iWas-Weiß-Ichs weg und lasst den iDingens mal aus. Nehmt euch Zeit für einen Ausflug in vergangene Tage. Hier entsteht kein schnelllebiges Wegwerfprodukt, sondern Kunstwerke mit viel Liebe zum Detail und zum Anfassen. Und das spürt man auch. „Everything looks better letterpressed.“
Es ist Haptik-Time! Und: Gott grüß die Kunst! Sven Winterstein vom Druck-Atelier Letterjazz hat das Wort.
Hi Sven, schön dass du für uns Zeit hast. Stell dich und Letterjazz doch bitte kurz vor.
Gerne. Letterjazz ist der Name der Company, die meine Lebenspartnerin Ute und ich 2010 in Essen gegründet haben. Letterjazz ist inzwischen zu einem größeren Letterpress-Studio herangewachsen. Wir sind sieben feste Leute und produzieren Letterpress-Jobs auf 60er-Jahre-Maschinen bis zum Format 50 x 70 cm, auch in größeren Auflagen. Für besondere Jobs haben wir Heißfolienprägung und Siebdruck mit an Bord. Diese diversen technischen Dinge sind aber nicht unser ganzer Stolz, da fallen mir eher die wirklich außergewöhnlichen Druckergebnisse ein, die wir für Gestalter aus ganz Europa zauben dürfen.
Welche Leistungen bietet Letterjazz und was kann ich bei euch denn alles drucken lassen?
Am Anfang kommt erst mal allerhand Beratung, die nötig ist, um unsere Kunden durch das Gewirr von Möglichkeiten zu führen. Da spielt auch „selbstverschuldete“ Papiervielfalt eine große Rolle, hier scheuen wir z. B. nicht vor Eigenimport von Papier aus Japan und dergleichen zurück. Bei den Druckjobs geht es meist um edle Geschäftsausstattungen, vor allem natürlich Visitenkarten, dann natürlich Einladungen für besondere Events, aber auch Buchumschläge oder Bestandteile von Finanzberichten bis hin zu Packaging-Jobs.
Letterpress schlägt jeden Wischi-Waschi-Hochglanz-Digitaldruck. Was ist das Besondere für dich an diesem Druckverfahren?
Look-and-Feel sprechen für sich, das gleichzeitige Drucken und Tiefprägen liefert eine ganz eigene, unverwechselbare Ästhetik. Für mich sind es die kleinen Charakteristika, wie z. B. die etwas unruhig wirkenden Flächen oder der leichte Druckzuwachs, die Letterpress-Drucke so lebendig machen.
Wie kamst du aufs Letterpressen bzw. auf den Buchdruck?
Als Partner in einer kleinen Agentur war Print-Buying eine meiner Aufgaben. Immer nur Offset ist ganz schön langweilig und da alte Technik schon immer meine Sache war (Stichwort Buckelvolvo), kam ich schnell auf den Buchdruck. Das war Mitte der 00er-Jahre. Da musste dann rasch eine Andruckpresse her, in der Garage war Platz dafür.
Was genau ist Letterpress? Eine modernere Interpretation vom guten, alten Buchdruck?
Das Wort bedeutet Buchdruck und nichts anderes. Unterhält man sich mit jemanden auf Englisch über Gutenberg oder über das Drucken in den 1950ern, dann benutzt man unweigerlich den Begriff Letterpress, welcher mit der damaligen Satzherstellung fest verbunden zu sein scheint – ein Thema, mit dem man dicke Bücher füllen kann. Der Begriff wird aktuell aber auch anderes verwendet, nämlich für das, worum es hier geht: von Klischees drucken und gleichzeitig in volumiges Papier tiefprägen.
Hattest du vor Letterjazz schon Berührungspunkte mit dem Buchdruck?
Letterjazz ist die gewerbliche Fortsetzung dessen, was ein paar Jahre vorher in unserer Garage in Essen-Rüttenscheid mit einer Handanlage-Maschine begann, die wir heute noch für bestimmte Jobs durchaus sinnvoll nutzen. In der Ausbildung hatte ich zwar bereits einmal mit Bleisatz Berührung, aber da war der Virus noch nicht aggressiv genug. Ich erinnere mich auch, dass ich Ende der Neunziger mal in einer ganz kleinen Dortmunder Druckerei war, wo ein gut gepflegter Tiegel Dienst tat, das hat mich schon gereizt. Aber damals dachte ich noch an Print-Zukunftstechnik, nicht an das Gegenteil.
Gibt es gestalterische Einschränkungen beim Letterpress?
Positiv- statt Negativ-Sujets sind gefragt, will sagen: Mit Flächen sollte man sehr sparsam und bewusst umgehen. Raster im Sinne von Halbton-Motiven sind auch kaum sinnvoll, außer im Einzelfall mal als Stilmittel (besondere oder grobe Raster). Dritter Punkt: Mehrere Farben kosten mehrere Stunden Arbeitszeit und erfordern ein Mehr an Budget. Diese Limits erziehen den Auftraggeber oft zur Besinnung und Reduktion und damit oft zu guter Gestaltung.
Kennen die Leute Letterpress oder bedarf es da noch der Erklärung?
Inzwischen wissen die meisten, worum es im Groben geht. Dann hört es aber auch schon auf und dort beginnt unsere Arbeit, die wir wirklich gern tun!
Wie sieht ein typischer Tag bei Letterjazz in Essen aus?
Erstmal Espresso, dann eine große Pumpkanne mit Pfefferminztee für alle. Ute, Zita und Jörg kümmern sich um die Kundenanfragen und um die Auftrags-Organisation. Die Produktion läuft damit an, dass A2-Klischees belichtet und anschließend getrennt werden oder Jobs vom Vortag endbeschnitten werden, was manchmal nicht der letzte Arbeitsgang ist, wenn wir z. B. die Schnittkanten einfärben (Farbschnitt).
Dann schnaufen die Maschinen bis ca. 17 Uhr. Kurz vorher müssen noch ordentlich verpackte Pakete an UPS übergeben werden; das, was später fertig wird, rollt per Overnight los. Ich bewege mich meist zwischen Office und Werkstatt hin und her, stehe mal an der Schneidemaschine, sitze mal am Rechner oder experimentiere mit neuen, uralten Apparaturen, mit deren Hilfe vielleicht später mal ein neues Alleinstellungsmerkmal gezaubert wird. Nach fünf haben wir dann ziemliche Ruhe und man kann leiser sprechen und Musik genießen.
Wie bist du denn an deine Druckmaschinen gekommen? Der Heidelberg Tiegel z. B. wird ja seit den 80er-Jahren nicht mehr hergestellt.
Hauptsächlich zwei Sammler-Kontakte, mitunter tauschen wir auch Apparatürchen. Mit Maschinenhändlern arbeite ich eher selten. Bloß kein ebay, da wird viel Murks angeboten, unvollständig oder logistisch problematisch.
Und wie habt ihr die wuchtigen Maschinen von A nach B bekommen?
Alt-Ägyptische Rolltechnik, Maschinenheber, Hubwagen usw. Die sechs Tonnen schwere Heidelberg-Schnellpresse kam allerdings mit der Hilfe eines sehr großen Mietstaplers vom Lkw runter bis in die gute Stube. Die neue Schneidemaschine ebenso.
Hin und wieder stehe ich selber gerne mal am Tiegel und drucke eigene Visitenkarten oder andere Leckerbissen. Den Ausbildungsberuf Buchdrucker gibt es heutzutage ja nicht mehr und auch die alten Buchdrucker-Hasen werden immer weniger. Wie hast du das Handwerk gelernt? Learning by doing?
Autodidaktisch am Handanlage-Tiegel. Bevor ich mit etwas starte, brauche ich immer umfangreiches Theoriewissen, da half viel alte Literatur und eine gewisse Besessenheit und Beharrlichkeit beim Aufspüren und Aufsaugen von Informationsquellen. Fundierteres Arbeiten und dirty tricks lernte ich von einem alten Buchdrucker und Setzer (man nennt diese Doppelqualifizierten auch „Schweizerdegen“). Er arbeitet heute noch aushilfsweise an manchem Freitag bei uns. Man kann ihn sogar in unserem Video sehen.
In Gesprächen mit ehemaligen Buchdruckern erntete ich nur schiefe Blicke, wenn ich erwähnte, dass ich das Papier prägen und gleichzeitig einfärben möchte. Zu früheren Zeiten gab es das nicht, da wurde das Papier nur „geküsst“. Die Lettern waren wertvoll und sollten nicht verschlissen werden. Nur nicht zu tief prägen! Und dann auch noch mit Farbe? „Oje, da benötigt man zwei Druckgänge. Ein Durchgang zum Prägen und einer für den Farbauftrag.“ Was wiederum bei mir für unverständliches Kopfschütteln sorgte. Hast du auch solche Erfahrungen mit älteren Buchdruckern gemacht?
Klar, die ganz Alten müssen schon allerhand Offenheit besitzen, um das zu verstehen – aber wer soll’s ihnen verübeln, wo sie doch schon am Anfang der Lehrzeit die Schonung des Letternmaterials beigebracht bekamen. Damals war die Auffassung und Wahrnehmung von Qualitätsdruck ganz anders als heute; im Buchdruck wollte man möglichst Offset-Look erzielen.
Für die Papierhersteller müsste die kleine Buchdruck-Renaissance doch eine wiederbelebende Herzmassage sein! Wie sind da deine Erfahrungen aus der Papier- und Zulieferbranche? Wird Letterpress dort als Chance erkannt oder ist es doch eher eine Nische?
Man erwartet sich nach meiner Beobachtung viel zu viel davon. Letterpress wird eher eine Nische bleiben und kann keine Papiermühle ernähren. Ein Letterpress-Studio bedruckt Papier nun mal nicht palettenweise. Wir haben zwar gelegentlich solche Aufträge, dazu braucht es aber größere Kapazitäten, die in der Letterpress-Welt im Allgemeinen selten gefragt und vorhanden sind.
Der Papierhersteller Gmund hat mit der Serie „Cotton“ fünf herrliche Papiere im Angebot. Prima zum Prägen. Hast du ein Lieblingspapier?
Wir konnten schon einige Monate vor der Markteinführung des Cotton mit dem Papier arbeiten und testen und haben außerdem das sehr schöne Cotton-Mailing für Gmund produzieren dürfen. Das Papier ist ziemlich sophisticated und perfekt für Letterpress. Ich mag das Cotton Gentleman Blue in 900 g/qm am liebsten – einfach stilsicherer Luxus.
Merkst du selber, dass Letterpress-Produkte mittlerweile eher gefragt sind, als noch vor ein paar Jahren?
Es hat sich einiges getan, aber ich betrachte es nicht als Hype, sondern als eine kleine Erfolgsgeschichte.
Wenn ich am Tiegel stehe oder an der Korrex, platziert sich ein breites Grinsen in meinem Gesicht. Der Takt der Maschine, der Geruch der Farbe… Wie ist das bei dir?
Genau so! Klang, Gerüche, aber auch das Aussehen von Maschinen, Zubehör, Mobiliar und die Unmittelbarkeit des Druckverfahrens – eine sehr ehrliche, nachvollziehbare Technik, die manchmal Schraubereien oder Improvisation erfordert. Man kann mit den eigenen Händen alles erreichen und bekommt nicht etwa einen Fehlercode auf einem Touchscreen angezeigt. Jedoch ist auch Aufmerksamkeit geboten, die Technik ist nicht ganz ungefährlich.
Wie bereits erwähnt, ist es schwer, noch Menschen zu finden, die über ein fundiertes Wissen im Buchdruck verfügen. Euer Blog ist daher eine Wissensquelle für alle Gutenberg-Jünger. Gebt ihr selbst auch Letterpress-Kurse?
Wir werden immer mal wieder danach gefragt, aber wir können uns nicht dafür erwärmen, Workshops anzubieten.
Ich bin stolzer Besitzer der Letterpress-Musterkarten aus dem Hause Letterjazz. Hin und wieder nehme ich mir die Drucke zur Hand und freue mich einfach über die tolle Haptik. Plant ihr weitere Proben oder bleibt´s erst mal bei den aktuellen Musterkarten?
Danke für Dein Feedback! Unsere Musterkartenkollektion halten wir laufend frisch, da sie trotz Schutzgebühr supergut nachgefragt wird. Manche Motive drucken wir nach, nachdem die Karten verbraucht sind, andere wiederum nicht, so dass die Motive sich langfristig verändern.
Woher nimmst du die Ideen für neue Designs? Arbeitet ihr auch mit anderen Designern zusammen?
Meistens ergeben sich Kontakte zu außergewöhnlichen Gestaltern bzw. Illustratoren, die bestimmte, sehr reizvolle Arbeiten in ihrem Portfolio haben. Mit den Machern gemeinsam entscheiden wir dann, wie wir ein Motiv als Letterjazz-Musterkarte umsetzen (Papier, Techniken). Vieles davon gestaltet Dirk Uhlenbrock, unser house artist.
Was ist euer bisheriges Lieblingsprojekt?
Da gibt’s schon einige Jobs, die wir sehr mochten. Ich fand die Verpackungen für den Gestalter Marco Störmer wirklich toll, auch weil wir ein paar technische Hürden überwunden haben, aber vor allem der ausgereiften Gestaltung wegen.
Mit wem würdet ihr gerne mal zusammenarbeiten?
Mit einem reichen Onkel aus Texas, der sagt: „Macht was ihr wollt, Hauptsache es wird aufwändig …“. Quatsch beiseite, also ein Schriftmuster-Heft für ein Fontlabel wäre zum Beispiel mal was Feines.
Wo kann man Letterjazz finden?
Im Ruhrgebiet, in Essen – ohnehin stets eine Reise wert, ich nenne nur die Zeche Zollverein, die Villa Hügel oder das Museum Folkwang, von dem wir nur einen Steinwurf entfernt sind.
Wie geht´s weiter mit Letterjazz?
Also, wenn es so weiter geht, wie es die letzten drei Jahre gelaufen ist, dann brauchen wir eines Tages größere Räumlichkeiten, auch wenn ich es ursprünglich nicht so groß haben wollte. Wir haben dem Nachbarbetrieb bereits zwei mal einige Quadratmeter abgeschwatzt, das ist nun ausgeschöpft. Ansonsten wird es in puncto Feinkartonagen bald eine neue Art von Produkt bei Letterjazz geben. Coole Schachteln, die wir komplett bei uns bedrucken und fertigen können, wir werden im Blog (http://praegedruck.org) natürlich Genaueres berichten.
Druck-Atelier Letterjazz, Design und Letterpress | 45147 Essen | hello@letterjazz.com
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